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Der Duft von Safran:
Wie sich eine Unternehmensberaterin in Marokko neu erfindet

Ich fahre ins Ourikatal zur Safranfarm von Christine Ferrari. Es ist heiß, und der Taxifahrer setzt mich vor einem schweren Metalltor ab. Ich klingle. Als die Tür aufgeht, erwartet mich hinter dem Tor ein kleines Paradies. Inmitten einer ansonsten kargen Landschaft ist ein üppig grüner Garten angelegt. Duftrosen säumen die Wege und der dunkle Boden der abgeernteten Felder zeugt von der harten Arbeit, die hier geleistet wird. Farbig gedeckte Tische, zwischen den Pfauen ihr Rad schlagen, laden zum Verweilen ein. Gleich kommt die nächste Reisegruppe, um ein köstliches Safranmenu zu genießen.

Im Herzen Marokkos, umgeben von den Ausläufern des Atlasgebirges, liegt das kleine Dorf Taliouine. Die Region ist traditionell für ihren Safrananbau bekannt. In Marokko gibt es zahlreiche Safranfarmen. Das Hauptanbaugebiet ist das Bergdorf Haluin. 99,9 Prozent des marokkanischen Safrans kommen von dort. Christine Ferrari gehört hingegen zu den zwei Exoten, die gewagt haben, Safran im Ourikatal anzupflanzen. Sie verkauft den Safran vor Ort an ihre Gäste und über einen Vertriebler in der Schweiz, der Restaurants und Bäckereien mit dem Gewürz beliefert.

Die Entscheidung: Klein, aber fein

Auf Christines Farm werden nur kleine Mengen produziert und geerntet. Und deshalb arbeitet die Schweizerin auch nur mit ausgewählten Kooperationspartnern zusammen: mit einem Luxusrestaurant, einem Bierbrauer, einer Eiswerkstatt, die ein weißes Schokoladeneis mit Safran herstellt sowie einer der berühmtesten Bäckereien in der französischen Schweiz, die Brioche mit dem teuren Gewürz veredelt und täglich über hundert Safran-Brote backt.

Das Geschäftsmodell steht auf verschiedenen Säulen: Christine baut Safran an, den sie verkauft. Außerdem können Gäste die Farm besichtigen und bei einem Drei-Gänge-Menü auf den Geschmack kommen. In ihrer kleinen Boutique bietet sie außer Safran auch Arganöl, feine Bio Kräutertee Mischungen, Kräutersalze, ein Gesichtsserum mit Arganöl oder Seifen an. Die Haupteinnahmequelle sind die Besucher, die Verkäufe in der Boutique und ihr autobiographisches Buch „Die Safranfrau: Die wahre Geschichte einer Frau, die von Berbern gelernt hat, einfach glücklich zu sein.

Der mutigste Schritt

Für die Erfüllung ihres Lebenstraums hat Christine viel gewagt. Sie hat einen gut bezahlten Job in der Schweiz aufgegeben und ist allein mit dem Auto nach Marokko gefahren. Christine hat erst mit dreißig ihren Führerschein gemacht. Sie hatte keine Ahnung, worauf sie sich einließ, kannte weder die Zollbestimmungen für die Einreise noch, was sonst alles auf sie zukommen würde. Sie ist einfach aufgebrochen, war fast fünf Tage lang unterwegs. Schon bei ihrer Ankunft wusste sie, dass diese Fahrt ein Schlüsselerlebnis sei und dass sie alles im Leben schaffen würde. Vielleicht braucht es dafür ein paar Umwege, aber die muss man nehmen. Christine bezeichnet sich selbst nicht als mutig, auch wenn sie von vielen so wahrgenommen wird. Sie sagt, dass sie einfach eine Macherin sei.

Die größte Hürde

Christine war 48 Jahre alt, als sie nach Marokko ausgewandert ist. Sie hat alles hinter sich gelassen Job, Mann, ein Zuhause und bei null neu angefangen. Seitdem lebt sie mit ihren Gästen, ihren Tieren und sich selbst. Die ehemalige Unternehmensberaterin war den hektischen Alltag in der Großstadt überdrüssig. Sie sehnte sich nach etwas Tieferem und Sinnvollerem in ihrem Leben.

„Ich wollte etwas Echtes schaffen, etwas mit meinen eigenen Händen aufbauen“, erzählt sie, während sie mir einen Teller mit traditionellem marokkanischem Gebäck und einen frischen Minztee anbietet. „Safran ist nicht nur ein Gewürz, es ist ein Symbol für harte Arbeit, Geduld und Hingabe.“

Die Herausforderung 

Die größte Herausforderung war am Anfang, erst einmal ein passendes Grundstück zu finden und dann natürlich die Finanzierung. Der Neuangekommenen half, dass in Marokko alles deutlich preiswerter ist als in ihrer früheren Heimat. Eine Rose, für die man in der Schweiz zwanzig Franken zahlt, kostet in dem nordafrikanischen Land ledig 1,50 Euro. So konnte Christine mit ihrem Ersparten ein neues Leben in Marokko beginnen. Sie musste die ortsüblichen Preise kennenlernen, um als Ausländerin nicht ständig übers Ohr gehauen zu werden.

Die Kundenakquise läuft über ihr Buch, über ihre Webseite, über Mund zu Mund Propaganda und über Reisebüros, die ihre Gäste gern auf die Safranfarm schicken, da sie wissen, dass ein Besuch dort zu einem unvergesslichen Erlebnis wird. Denn Christine begrüßt jeden ihrer Gäste herzlich, bietet in der Hitze Wasser mit Blüten und Kräutern an oder einen Kräutertee und dazu frisch gebackenes Brot, Oliven, Erdnüsse und spannende Geschichten über den Safrananbau.

Große Reisebüros wie Let's go, Bischofsberger oder Globetrotter haben inzwischen die Safranfarm in ihren Katalogen im Angebot als Tagesausflugsziel ebenso wie lokale Informationszentren von Marrakesch bis Essaouira.

Der Weg zur Gründung

Bis sie die Farm gründen konnte, musste Christine zahlreiche Herausforderungen meistern: Es galt bürokratische Hürden beim Kauf von Land zu überwinden, sich an die Mentalität der lokalen Kultur und die klimatischen Bedingungen anzupassen. Viele Monate verbrachte sie damit, die besten Anbautechniken zu erlernen und Beziehungen zu den Dorfbewohnern aufzubauen. „Es war entscheidend, das Vertrauen der Gemeinde zu gewinnen“, sagt sie. „Ohne ihre Unterstützung wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen.“

Christine investierte viel Zeit in die Auswahl der besten Safranknollen und die nachhaltige Bewirtschaftung des Bodens. Sie setzt auf biologische Anbaumethoden und legt großen Wert auf die Qualität ihres Produkts. „Die Qualität des Safrans hängt von vielen Faktoren ab – der Bodenbeschaffenheit, der Bewässerung und natürlich der Erntezeit.“

Erntezeit: Die Magie des Safrans

Der Höhepunkt des Jahres ist die Erntezeit im Oktober und November. Das „rote Gold“, wie Safran auch bezeichnet wird, wird aus den zarten violetten Blüten des Crocus sativus gewonnen. Jede Blüte enthält nur drei rote Narbenfäden, die von Hand geerntet werden müssen – eine mühsame Arbeit, die viel Geduld und Fingerspitzengefühl erfordert. „Es ist eine sehr intensive Zeit, aber auch die schönste“, sagt Christine. „Der Duft der Safranblüten erfüllt die Luft, und man fühlt sich mit der Natur verbunden.“

Die Entscheidung

Christine ist eine zarte, hübsche Frau, die hart für die Erfüllung ihres Lebenstraums gearbeitet hat. Auf meine Frage, was Erfolg für sie bedeutet, folgt erst einmal Schweigen. In der klassischen Businesswelt definiert sich Erfolg meistens über das Einkommen, die Position oder Statussymbole. Doch diese Welt hat Christine hinter sich gelassen.

Sie lebt in einem kleinen Lehmhäuschen mit Hund, Tieren und ihrem wundervollen Garten. Mehr braucht sie nicht. Im Gegenteil. Sie sagt: „Wenn mir jemand eine Villa schenken wollte, würde ich dankend ablehnen.“ Wenn ihre Gäste mit einem Lächeln gehen, ist das für sie die schönste Belohnung. Es geht ihr nicht primär um Reichtum, sondern darum, so viel Geld zu verdienen, dass sie den Aufgaben nachgehen kann, die sie erfüllen.

Ihr genügt es so wie es ist. Häufig fragen Gäste, ob sie auch über Nacht bleiben könnten. Denn zu schön ist es, auf dem Barfußweg zu sitzen und der untergehenden Sonne zu zusehen.

Christine weiß, dass sie ein Vermögen verdienen könnte, wenn sie Bungalows und Ferienwohnungen zur Übernachtung anbieten oder sogar ein Hotel eröffnen würde. Aber das will sie nicht. Denn dann wäre sie ein Ferienanbieter wie jeder andere und hätte abends nicht mehr ihre Ruhe. Sie müsste Personal einstellen und wäre permanent gefordert, zu schauen, ob alles perfekt läuft. Nein, das will sie sich nicht antun.

Christine hat Geld, Kraft, Arbeit, Intelligenz und Kreativität investiert, um ihr eigenes Reich mit der Safranfarm zu schaffen. Sie hat sich der Konkurrenz entzogen, um in Strukturen der Kooperation zu leben. Wenn ihr der Besitzer einer benachbarten Öko-Lodge Besucher schickt, dann zahlt sie ihm eine Kommission, wenn die Gäste etwas kaufen. Nehmen und geben ist ein Naturgesetz hier.

Christines Rat an angehende Unternehmer:

  • Glaubt an euch selbst und an eure Vision.
  • Lasst euch von Rückschlägen nicht entmutigen und seid bereit, hart zu arbeiten.
  • Und vor allem: Seid geduldig. Erfolg kommt nicht über Nacht, aber mit Leidenschaft und Ausdauer werdet ihr eure Ziele erreichen. Die größte Stärke beruht auf der Dankbarkeit.

Die Bewährungsprobe

Corona stellte auch Christine auf eine harte Probe. Ausbleibenden Einnahmen standen laufende Ausgaben für Angestellte, den Erhalt des Gartens und Versicherungen gegenüber. Alle sechs bis acht Jahre muss sie neue Safranknollen kaufen. Zum Glück hatte sie sich vor Corona ein kleines Polster erarbeitet. Mit Krediten und dank der Unterstützung von Freunden konnte sie die Löhne weiterbezahlen. Christine bedankt sich bei jedem Gast ausdrücklich für den Besuch und die Unterstützung, denn das ist ihr Leben. Das Ersparte würde nicht einmal für ein neues Auto reichen.

Aber Christine ist absolut zuversichtlich. Selbst wenn sie erkranken würde, wüsste sie sich in der Gemeinschaft der Frauen, die sie ausgebildet hat und die für sie arbeiten, geborgen. Sie weiß, dass sie sofort jemand finden würde, der vierundzwanzig Stunden bei ihr wohnt und das zu einem bezahlbaren Preis. Betreutes Wohnen fürs Alter oder Altenheime gibt es in Marokko nicht. Das ist bei den zumeist intakten Familienstrukturen auch nicht nötig.

Die Kraft der Dankbarkeit

„Ich sage Hunderte Mal am Tag Danke“, sagt die Gastgeberin zu mir. Das sei für sie einfach selbstverständlich, weil nichts von all dem, was gut läuft, selbstverständlich sei. „Ich bedanke mich für jede Kleinigkeit. Das ist so in mir drin.“ Dankbarkeit habe für sie eine große Bedeutung. „Ich bin dankbar für die lieben Gäste, die mich besuchen. Ich bin dankbar für die schönen Blumen, die in meinem Garten blühen. Ich bin einfach für alles unendlich dankbar und bete jeden Abend mein Dankbarkeitsgebet. Die Dankbarkeit ist die stärkste Kraft auf Erden. Unsere Erde sieht so schlimm aus wie sie aussieht, weil die meisten Menschen nicht dankbar sind“, ist sich Christine sicher.

Noch lange nachdem ich Christines Paradies verlassen habe, bleibt der Duft des Safrans in der Nase. Ich bin beeindruckt von einer Frau, die es gewagt hat, ihren Traum zu leben. In einer Welt, die oft von Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit geprägt ist, hat Christine Ferrari einen Ort geschaffen, der von Authentizität, Hingabe und der Schönheit des Einfachen zeugt. Ihre Safranfarm ist nicht nur ein Geschäft, sondern ein Symbol für die Kraft des menschlichen Willens und die Magie, die entsteht, wenn man seinen eigenen Weg geht.

Webseite der Safran Farm


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Dr. Kerstin Gernig hat 4,87 von 5 Sternen 760 Bewertungen auf ProvenExpert.com